Ihr Ziel war die Öffnung der großen Anstalten in der DDR – es wurde jedoch nicht überall erreicht
Während die Psychiatrie-Enquete des Bundestages von 1975 bis heute noch zurate gezogen wird
wenn es um die psychiatrische Versorgung geht
sind die Rodewischer Thesen der DDR-Psychiatrie aus 1963 allenfalls Fachkreisen bekannt
handelt es sich doch um einen relativ frühen und ambitionierten sozialpsychiatrischen Ansatz
Mit den Thesen knüpfte die DDR zumindest theoretisch an angelsächsische und skandinavische Vorbilder an
auch das sowjetische Dispensaire-System spielte herein
die großen Anstalten zu öffnen und die Patienten soweit als möglich ambulant oder halbstationär zu betreuen und eine „aktive therapeutische Einstellung“ zu fördern
dass die Thesen stillschweigend von der Anstalt als der Basis jeglicher Versorgung ausgehen
Mai 1963 trafen sich Vertreter der 22 Psychiatrischen Groß-Anstalten („Fachkrankenhäuser“) und einiger Universitätskliniken der DDR in Rodewisch mit Kollegen aus sozialistischen und westlichen Ländern
darunter auch der Bundesrepublik Deutschland
Internationalen Symposium über psychiatrische Rehabilitation“
war wegen seines Fachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie gewählt worden
einer zeittypischen Mammutanstalt mit (seinerzeit) um die 1 500 Betten
hinter dem auch das DDR-Gesundheitsministerium stand
ergänzten drei Ärzte aus der Bezirksnervenklinik Brandenburg die Rodewischer Thesen um die neun „Brandenburger Thesen“
Die Rodewischer Reformer forderten unter anderem
die „von den neuroleptischen Psychopharmaka über die vielfältigsten Methoden der Arbeitstherapie bis zu den gruppenpsychotherapeutischen Verfahren“ reicht
die Öffnung der Krankenstationen für den überwiegenden Teil der Kranken
Entscheidend dafür seien „ein durchdachtes rehabilitatives Heilregime
die damit geschaffene Heilatmosphäre und die aktive Einstellung zur komplexen Therapie“
die Trennung der Stationen für akut Erkrankte von denen für chronisch Kranke sowie die Differenzierung von Jugend- und Altersstationen
eingeschlossen „engste Verbindungen zu den Produktionsbetrieben“
daneben Übergangslösungen zwischen arbeitstherapeutischen Einsätzen und der vollen Erwerbstätigkeit
Ausführlich zu „Öffnung“ und „fürsorglichem Geist“ äußern sich die Brandenburger Thesen
Sie kreisen um die „Therapeutische Gemeinschaft“ von Patienten und Therapeuten und sind durchzogen von therapeutischem Optimismus
wörtlich: „Viele Erfahrungen haben gelehrt
dass der Übergang vom System der widerspruchslosen Anordnung zur eigenverantwortlichen Mitbestimmung
verbunden mit optimaler Selbstverwaltung und Selbstkontrolle die Möglichkeit schafft – bis auf wenige Ausnahmen –
sämtliche Stationen der psychiatrischen Krankenhäuser zu öffnen.“
Die Rodewischer Forderungen lagen im Trend der Zeit, meint Prof. Dr. med. Klaus Weise aus Leipzig im Gespräch (siehe Interview) und verweist auf das westliche Ausland
„Mit Rodewisch ist man auf den fahrenden Zug aufgesprungen“
Weise und Bellin haben je auf ihrem Feld Reformen umgesetzt
Ende der 50er Jahre in Rodewisch weitergebildet
leitete von 1973 bis 1995 die psychiatrische Universitätsklinik in Leipzig und entwickelte diese „zur sozialpsychiatrischen Leiteinrichtung der DDR“
von 1962 bis 1995 an der Neuruppiner Nervenklinik tätig
zuletzt als Chefärztin der Gerontopsychiatrie
sieht die Rodewischer Tagung als wegweisend für ihre Klinik an
Tatsächlich gilt Neuruppin als ein Musterbeispiel für die sogenannte Sektorisierung im Sinne der Thesen im kleinstädtisch-ländlichen Raum
war die im Pavillionstil erbaute Klinik mit einer hohen Mauer und jedes Haus mit einem zwei Meter hohen Drahtzaun umgeben
Gitter und Zäune seien im Gefolge von Rodewisch verschwunden
eine Tagesklinik und eine Institutsambulanz eingerichtet
„Die Arbeitsfähigen arbeiteten in der Stadt
So hätten zum Beispiel chronisch Kranke zu lange Zeit in der Klinik zugebracht
„Die Umsetzung erfolgte durch den ärztlichen Direktor
„die Mitarbeiter von den therapeutischen Gemeinschaften zu überzeugen.“
Reformen waren laut Bellin nicht nur wegen der kläglichen Umstände nötig
Die deutsche Psychiatrie habe es vielmehr nach den Verfehlungen in der Nazizeit schwer gehabt
ihre Glaubwürdigkeit als medizinische Wissenschaft wiederzuerlangen
Auch deshalb habe sie sich um Reformen im Sinne einer humanen Betreuung bemühen müssen
dass die frühere Landesanstalt Neuruppin in das NS-„Euthanasie“-Programm als „Zwischenanstalt“ eingebunden war und trat mit ihren Forschungsergebnissen auf einer Medizinhistorikertagung 1989 als erste an die Öffentlichkeit
Das Meinungen über die Wirkungsgeschichte der Psychiatriereform in der DDR gehen weit auseinander
Da ist einerseits der Leipziger Leuchtturm (der ohnehin für sich steht)
da sind die von den Rodewischer Thesen beeinflussten Reformen in Neuruppin (und Mühlhausen/Pfaffenrode
Dennoch: „Eine nachhaltige Wirkung auf die psychiatrische Versorgung in der gesamten DDR blieb aus,“ resümieren Kumbier et al
Vielmehr habe bis zur „Wende“ die traditionelle Anstaltspsychiatrie überdauert
Offenbar mehr schlecht als recht folgt man dem Bericht der Aktion Psychisch Kranke zur Lage der Psych- iatrie in der ehemaligen DDR aus dem Jahre 1991
Der Bericht konstatiert eine „verantwortungslose Vernachlässigung des Fachgebietes Psychiatrie innerhalb des Gesundheitswesens der ehemaligen DDR“
Halbherzig war wohl auch die Unterstützung durch die traditionellen Anstaltspsychiater. Die Universitätskliniken scheinen sich zumeist verweigert zu haben. Ein Grund für die verbreitete Hinhaltetaktik dürften auch die unterschiedlichen therapeutischen Auffassungen gewesen sein: soziale versus biologische Psychiatrie.
In der DDR gab es keine öffentliche Diskussion über die psychiatrische Versorgung, wie sie im Gefolge der Psychiatrie-Enquete in der Bundesrepublik geführt wurde. Damit fehlte der öffentliche Druck, etwas zu bewegen. „Die Umsetzung scheiterte maßgeblich am politischen System, das eine öffentliche Problemanalyse nicht zuließ“, sind jedenfalls Kumbier et al. überzeugt.
Richter E: „Stecken geblieben – Ansätze vor 38 Jahren“, Dtsch Arztebl 2001; 98(6): 307 VOLLTEXT
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